Emotionale Begleitung nach einer Fehlgeburt – Wie gehe ich mit der Trauer und dem Verlust um?

Endet eine Schwangerschaft bevor das Kind lebensfähig ist spricht man umgangsprachlich von einer Fehlgeburt, medizinisch von einem Abort. Verstirbt das Kind im Mutterleib nach der 20. SSW bezeichnet man dies als Spätabort bzw. nach der 24. SSW als Todgeburt. Besonders in der Frühschwangerschaft ist das Risiko für eine Fehlgeburt, (medizinisch: Abort) hoch. Zwischen 12-24% der Schwangerschaften enden, nach dem Ausbleiben der Periode bis zur 12. SSW, in einer Fehlgeburt. Die Wahrscheinlichkeit sinkt aber bereits nach der 8. SSW stark und liegt nach der 12. SSW noch bei ca. 1%. Verstirbt das Kind nach der 24. Schwangerschaftswoche bezeichnet man dies als Todgeburt. Obwohl viele Frauen dieses Schicksal erleben, wird nur selten offen gesprochen darüber gesprochen, es ist in unserer Gesellschaft immer noch ein großes Tabuthema. Was dazu führt, dass die Betroffenen und Angehörige mit ihrer Trauer und dem Verlust häufig sehr alleine sind. Auch das medizinische Personal ist im Umgang mit den Betroffenen wenig geschult.

Doula (Nichtmedizinische Geburtsbegleiterin) Corinna Hansen-Krewer ist selbst Mama von 2 Kindern an der Hand und 4 Sternenkindern. Sie hat über den eigenen Verlust ihrer Kinder ihre berufliche Erfüllung gefunden und begleitet Frauen während vor, während und nach einer kleinen Geburt. In diesem Blogartikel schreibt sie über ihren Weg zu ihrer Arbeit und wie sie Frauen auf ihrem Weg emotional begleitet.

Corinna Hansen Krewer

Corinna Hansen-Krewer

Auch wenn mein Schmerz nach wie vor groß ist, dass wir unsere Kinder gehen lassen mussten, so weiß ich, dass ich ohne sie und ohne ihr Gehen nicht die Arbeit leisten könnte, der ich seit 3 Jahren nachgehe.

 

Warum „Kleine Geburt“ und nicht „Fehlgeburt“?

Umgangssprachlich heißt es Fehlgeburt und eigentlich versteht auch jeder sofort, was damit gemeint ist. Und dennoch empfinde ich den Begriff als unpassend. Erstens weil es sich wie ein Fehler anhört – und weder die Frau, noch ihr Körper oder gar ihr Kind sind ein Fehler. Auch wenn das manchmal von Seiten der Medizin so signalisiert wird. Zweitens verdeutlicht der Begriff „Kleine Geburt“ einfach, wie und was es tatsächlich ist: Nicht nur ein „Zellklumpen“ oder ein „Nichts“, sondern eben eine Geburt. Eine Geburt mit Wehen, mit Blut, mit einem Geburtsvorgang, mit einem Baby, mit anschließendem Wochenfluss und Wochenbett mit Hormonabfall. Es braucht eine Wertigkeit und ich denke, „Kleine Geburt“ trifft es ganz gut.

 

Die (emotionale) Begleitung einer kleinen Geburt

Meine Arbeit mit Frauen über die Zeit ihrer Kleinen Geburt ist vielfältig und doch jedesmal sehr ähnlich. Ich bereite die Frauen vor, wir besprechen die Umstände, den Ablauf, eben das, was auf sie zukommt. Mitunter dauert es eine Zeit lang, bis das Baby die Mama und die Mama ihr Kind loslassen können. Ich glaube, manche Babies brauchen einfach ein wenig länger, bis sie sich auf den Weg machen können. Und manchmal bedarf es kleiner Zeichen. Denn es ist wichtig, dass anerkannt wird, dass dieses Kind da war, dass es da sein darf und dass der Weg – auch wenn er ein kurzer sein würde – achtsam und selbstbestimmt gegangen werden darf. Und zwar so, dass jeder am Ende stabil aus dieser Situation rausgeht und sich nicht im Endeffekt vorwerfen braucht, vorschnell und unüberlegt gehandelt zu haben. Zeit ist ein wichtiger Aspekt. Und Entscheidungen, egal in welche Richtung, müssen in Ruhe getroffen werden dürfen.

Denn es ist wichtig, dass anerkannt wird, dass dieses Kind da war, dass es da sein darf und dass der Weg – auch wenn er ein kurzer sein würde – achtsam und selbstbestimmt gegangen werden darf.

 
Emotionale Begleitung 1
 

Vorbereitung im Außen

Als erstes empfehle ich den Frauen einen Eimer und ein Sieb ins Bad zu stellen, gegebenenfalls ein Glasschüsselchen (gefüllt mit Wasser für das Baby) sowie dicke Binden und genügend Toilettenpapier rauszulegen. Ich nenne dies „Vorbereitung im Außen“. Das ist wichtig, weil es den Frauen das Gefühl gibt: Es kann losgehen, ich bin vorbereitet.

 

Vorbereitung im Inneren

Ich habe mir durch meine eigenen Erfahrungen, durch den Verlust meiner Kinder und die Erfahrung über verschiedene Begleitungen Verabschiedungsrituale erarbeitet, die ich den Frauen erkläre, sodass sie die verbleibende Zeit MIT ihrem Kind gemeinsam für Erinnerungen nutzen können. Beispielsweise ist es für einige Frauen wichtig, einen Abschiedsbrief an das Kind zu schreiben. Hierbei können alle Emotionen wie Angst, Trauer und unendliche Liebe ihren Platz finden. Andere Frauen formulieren in diesem Brief ihre Wünsche aus, was sie gerne mit ihrem Kind unternommen und erlebt hätten. Es ist ganz individuell und besonders und auch wichtig, sich hier einzufühlen, um allen Gefühlen einen Raum zu geben. Am Ende darf die Mama natürlich auch selbst entscheiden, was mit dem Brief geschehen soll, ob sie den Brief dem Kind mitgeben möchte, ihn als Erinnerung behalten oder vielleicht verbrennen möchte. Erinnerungsfotos vom Bauch, die Gestaltung einer Erinnerungskiste für Ultraschallbilder, Untersuchungsergebnisse, den Mutterpass etc. oder auch die Gestaltung eines Kistchens, in welchem das Kind am Ende beerdigt werden kann – eben genauso liebevoll gestaltet und individuell emotional umgesetzt.

Einige Frauen gehen in Körperkontakt mit dem eigenen Bauch, bauen eine emotionale und energetische Verbindung zum Kind auf. Ich bin der Meinung, dass keine Energie verloren geht und wenn eine Energie frei wird, so geht sie auf etwas anderes über – in diesem Fall kann das Kind sie aufnehmen und auf seiner besonderen Reise mitnehmen. Umhüllt von Liebe und warmer Geborgenheit. Diese Erkenntnis tut den Müttern in der Regel sehr gut – es ist sehr wichtig, dass die Mama weiß, dass ihr Kind geborgen und beschützt ist, denn diese Sicherheit gibt die notwendige Kraft den bevorstehenden Weg stabil und bei sich durchstehen zu können. Die meisten Frauen wollen auf dem Weg, während der Zeit des Wartens, aktiv Erinnerungen schaffen, sie brauchen das Aktivwerden, denn das hilft zum Begreifen und erleichtert das Loslassen.

…es ist sehr wichtig, dass die Mama weiß, dass ihr Kind geborgen und beschützt ist, denn diese Sicherheit gibt die notwendige Kraft den bevorstehenden Weg stabil und bei sich durchstehen zu können.

 

Das Danach – Das Wochenbett nach der kleinen Geburt

Essenziel notwendig empfinde ich, zu erwähnen, dass der Hormonabfall oft sehr stark zu spüren ist. Hierbei treten aus meiner Erfahrung heraus verschiedene Begleitsymptome auf, die auch an den Beginn einer Schwangerschaft erinnern können, wenn die Hormone schnell ansteigen. Nach der Geburt, mit der in der Regel der Höhepunkt der Blutung und der Wehenintensität erreicht ist, ebben die Schmerzen normalerweise ab und auch die Blutung lässt nach. Meiner Meinung nach ist es wichtig, den Frauen zu erklären, dass es dennoch dauert, bis sich die Hormone wieder neutralisiert haben und dass sich die Mama erstmal im sogenannten Wochenbett befindet. Und auch wenn kein Kind da ist zum Schmusen, Stillen, Liebhalten, so ist es dennoch für die körperliche sowie seelische Heilung wichtig, Ruhe einkehren zu lassen, der Trauer einen Platz zu geben, das nun Vollendete zu realisieren um anschließend wieder in seine eigene Kraft zu finden. Hierbei bedarf es ein wenig Aufklärung der Mitmenschen, weil auch hier oft die Wertigkeit fehlt. Denn nur weil kein Baby im Arm liegt, heißt es nicht, dass der Körper der Mutter nicht großartiges und etwas ganz besonderes geleistet hat, was erst einmal verarbeitet werden muss. Je besser die Mutter in dieser Zeit unterstützt, umsorgt und gehalten wird, desto leichter fällt das Aufstehen und Zurückfinden ins Leben. Für Angehörige und auch für Fachpersonal wichtig:

Das Baby ist nicht mehr da. Der Bauch der Mama ist leer ist, aber ihr Herz sollte es nicht sein. Und hierzu kann jeder liebevoll und mit viel Verständnis und Unterstützung beitragen.

Denn nur weil kein Baby im Arm liegt, heißt es nicht, dass der Körper der Mutter nicht großartiges und etwas ganz besonderes geleistet hat, was erst einmal verarbeitet werden muss.

 
Emotionale Begleitung 2
 

Durch den Austausch mit Sterneneltern seit Jonathan` s Tod wurde mir bewusst, dass es leider gerade im medizinischen Bereich heutzutage sehr viele Missstände gibt. Emotionaler Halt und Aufklärung fehlen nachweislich in allen Bereichen, für Sterneneltern, aber auch für das betreuende Personal.

 

Was ich mir für Fachpersonal wünsche

Ich wünsche mir mehr Aufklärung des medizinischen Personals, ein Hinterfragen des natürlichen Vorgangs und eine Reflektion darüber, was es mit der Psyche macht, wenn den Frauen/den Paaren die Zeit des Abschieds durch zeitlichen sowie emotionalen Druck genommen wird. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, welche Auswirkungen es auf die Verarbeitung haben kann, wenn man Entscheidungen im Ausnahmezustand treffen muss.

Ich wünsche mir ein Hinschauen und Hinterfragen alternativer Möglichkeiten neben einem (inzwischen standardisierten) operativen Eingriff, der natürlich auch jede Menge gesundheitlicher Risiken birgt. Medizinisches Personal möchte ich ermutigen, vom Standard, der sich scheinbar über Jahrzehnte im gynäkologischen Bereich eingependelt hat, abzusehen und stattdessen jeden Fall individuell zu betrachten. Meiner Erfahrung nach ist eine Betreuung über eine Kleine Geburt in vielen Fällen machbar.

 

Was ich mir für die Frauen wünsche

Den Frauen wünsche ich Mut, in den eigenen Körper reinzuspüren, dem eigenen Urinstinkt und Bauchgefühl zu vertrauen und sich bewusst zu machen, dass eine Geburt selbstbestimmt und in Ruhe stattfinden darf. Und das geschieht eben nur unter entspannten und aufgeklärten Umständen, die man sich jedoch nach der Diagnose des fehlenden Herzschlags, erst wieder aneignen muss. Bestenfalls mit guter medizinischer und emotionaler Betreuung, ohne Stress, Angst und im Vertrauen gegenüber dem eigenen Körper und dem gemeinsamen Weg mit dem eigenen Kind.

 

Du möchtest mehr über Corinna, ihren Weg und ihre Arbeit erfahren?

Dann hör Dir unbedingt unsere gemeinsame Podcastfolge an!

Emotionale Begleitung 3

Corinna Hansen-Krewer ist Doula und Fotografin. Sie lebt mit ihrer Familie bei Trier an der Mosel. Ihre Mission ist es Frauen über ihre kleinen Geburten zu begleiten und das medizinische Fachpersonal im Umgang mit kleinen und stillen Geburten zu schulen.

Corinna ist Autorin des Buches:
„Stille Geburten sind auch Geburten“

Auf ihrer Homepage und Instagram findest Du mehr Informationen zu Corinnas Angebot.

Homepage: https://soul-feelings.de

Instagram: @corinnahansenkrewer

 

Ab Januar 2021 bietet Corinna eine Online Fortbildung zum Thema „Emotionale Begleitung Kleiner Geburten“ für Fachpersonal an. Sie teilt darin ihre Expertise und viele Informationen zur sicheren Begleitung von Sternenmamas und -familien.